„Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus“1
Noch heute ist sie an der Wand einer Einzelzelle unübersehbarer Ausdruck für einen jungen Menschen in großer Not.
Was bedeutete es für Kinder und Jugendliche in der DDR, in ein Heim eingewiesen zu werden? Aus welchen Gründen wurden sie dahin gebracht und wie ist es ihnen dort ergangen? –
Diese und weitere Fragen wurden im Februar 2024 im Geschichtsprojekt „Geschlossener Jugendwerkhof Torgau“ für 23 Schüler und Schülerinnen der 10. und 11. Klasse unseres Gymnasiums beantwortet.
Zu Beginn der Projekttage führte uns die Leiterin der Gedenkstätte Torgau, Manuela Rummel, in die Geschichte der Heimerziehung in der DDR ein, stellte uns die verschiedenen Formen der Einrichtungen vom „Normalkinderheim“ bis zur geschlossenen Einrichtung vor und schilderte uns dann den Alltag eines Heimkindes im Jugendwerkhof Torgau. Das Ziel dieser Einrichtung war es, die unangepassten Jugendlichen im Alter zwischen 14-18 Jahren zu einer der DDR entsprechenden „sozialistischen Persönlichkeit“ umzuerziehen.
Diese Umerziehung setzte bereits mit einem für uns heute unvorstellbaren Aufnahmeritual für den jungen Menschen bei Ankunft im GJWT ein: Man ließ den Neuankömmling stundenlang im Treppenhaus warten und auf die erste Frage seinerseits wurde dem Jugendlichen ein Schlag versetzt. Danach schor man dem jungen Menschen den Kopf kahl, beraubte ihn aller persönlicher Sachen und sperrte ihn für 3 Tage in eine Einzelzelle. Doch das war nur der Anfang.
Um den eigenen Willen der Jugendlichen zu brechen, musste täglich ein enormes Sportpensum absolviert werden, wie z. B. 500 Liegestütze oder mehr. Versagen oder Zuwiderhandlungen wurden mit Einzelarrest bis zu 12 Tagen, Essenszwang oder Essensentzug und Prügelstrafen... geahndet.
Der sich an den Vortrag anschließende Dokumentarfilm „Schlimmer als der Knast“ zeigte uns erschreckende Originalaufnahmen vom Ort des Geschehens sowie erschütternde Wortmeldungen von ehemaligen Insassen des Jugendwerkhofes. Im krassen Kontrast zur Schilderung ihres sechsmonatigen Leidensweges im GJWT standen danach die Aussagen von zwei ehemaligen Erziehern dieser Einrichtung, die die Anwendung ihrer Methoden vor der Kamera sogar noch verteidigten.
All das hat unser Gast, der Zeitzeuge Alexander Müller, geboren 1969 in der DDR, in Torgau am eigenen Leib erfahren müssen. Etwa 90 Minuten schilderte er uns sein Leben in verschiedenen Heimen, nachdem man ihn seiner Mutter wegen wiederholter systemkritischer Äußerungen weggenommen hatte. Er sprach über seine Zeit vor dem Geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau, in welcher er bereits seit seinem 11. Lebensjahr mehrere Stationen der Heimerziehung durchlief, und von seiner Zeit in Torgau sowie seinem weiteren Lebensweg nach der Entlassung aus dem GJWT.
Mit „Jeder stand sich selbst am nächsten“ beschrieb Alexander Müller besonders die Beziehungen der Jugendlichen untereinander, denn für Fehler des Einzelnen musste nicht nur der Jugendliche selbst seine Strafe verbüßen, sondern die ganze Gruppe. Dafür rächte sich die Gruppe dann in der Nacht im Gemeinschaftsschlafsaal mit Schlägen und Tritten... All dies war Teil der Methode, den Willen der Jugendlichen zu brechen und sie ans Kollektiv des DDR-Systems anzupassen.
Den meisten DDR- Bürgern war dies kaum bekannt, da das Ganze hinter verschlossenen Türen stattfand und die Jugendlichen oft direkt als kriminell abgestempelt wurden. Am Beispiel mehrerer Zeitzeugen aus der Dokumentation über die Heimerziehung der DDR „Schlimmer als der Knast“ und unseres Zeitzeugen erkannte man aber leicht, dass die meisten Jugendlichen keine Kriminellen waren, sondern einfach nur nicht in das sozialistische Idealbild eines DDR-Bürgers gepasst haben. Die Einweisung in ein Heim geschah überwiegend gegen den Willen der Eltern und nicht durch ein Gericht, sondern die Jugendhilfe traf diese Entscheidung.
Alexander Müllers Schlussappell am ersten Projekttag: „Lieber eine beschissene Demokratie als jemals wieder in irgendeiner Weise eine Diktatur! Das sage ich aus meiner eigenen bitteren Erfahrung, … weil ich eben beides erlebt habe.“
Zusammen mit allen Informationen aus Referat und Film gab uns das Zeitzeugen-Gespräch ordentlich Anstoß zum Nachdenken.
Am zweiten Projekttag reflektierten wir das Gehörte und Gesehene zuerst in der Gruppe.
Anschließend setzten wir zusammen mit zwei Kunstpädagoginnen den „Wert der Freiheit“ für uns heute künstlerisch um. Dabei entstanden ganz viele individuelle Bilder, die - zusammen mit Informationsbannern über den Jugendwerkhof Torgau - am Tag der offenen Tür unseres Gymnasiums in der Aula und im Geschichtszimmer im Haus 1 zu sehen waren.
Herzlichst bedanken wollen wir uns an dieser Stelle im Namen aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Projektes für die interessanten und aufschlussreichen zwei Tage.
Unser Dank gilt unseren Lehrerinnen, Frau Dunkel und Frau Hirth, für die Organisation und natürlich unserer Referentin Frau Rummel, dem Zeitzeugen Herrn Müller sowie den Kunstpädagoginnen Frau Jacobi und Frau Kasper.
Lusie Frenzel, Magdalena Hannusch, Klasse 11,
und Frau Hirth